Mit dem Verschwinden der DDR verschwanden auch ihre Stimmen und Erzählungen. Sie verstummten nicht, aber sie verschwanden aus der öffentlichen Debatte; dem Reigen der Erzählungen, aus dem sich Geschichte zusammensetzt. Gemeinsam mit den Betrieben, Produktionsmitteln, den öffentlichen Ämtern in Politik und Kultur, die im rasenden Tempo durch die fachkundigen Hände der Treuhand in den Westen transferiert wurden, verlor die Lebensart der Menschen in der nun ehemaligen DDR ihre Legitimität. Auch wenn Kunst und Kultur aus sozialistischen Gesellschaften weiterhin in Wissenschaft und Kulturbetrieb rezipiert werden, ignoriert insbesondere die deutschsprachige Linke den Sozialismus der DDR, während der Blick gleichzeitig nostalgisch auf Kuba oder die Sowjetunion gerichtet ist. Dem politischen wie ästhetischen Bezug auf die DDR hängt so nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch innerhalb der aktivistischen wie akademischen Linken immer noch etwas Verdächtiges an. Dies ist für uns deswegen überraschend, weil gerade in den Erzählungen des Alltags über das Träumen, Wünschen und Fürchten der (Post)DDR-Menschen etwas verborgen liegt, womit sich unsere politische Gegenwart besser verstehen ließe. Im Windschatten der aktuellen Debatten, die nach der Hoheit und Verfügung über das Narrativ DDR fragen, wollen wir die spezifisch ästhetische Politizität der DDR-Literatur in den Blick nehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei literarische Alltagserzählungen, die das Wünschen und Fürchten der DDR-Gesellschaft wie ein Brennglas ausleuchten und den Widerspruch sowie ästhetische Verfahren des Realismus und Dokumentarismus als Methode einer sozialistischen Literatur herausstellen.
Kolonialisierte Erinnerung
Der Soziologe Steffen Mau beobachtet in seinem Buch Lütten Klein den fortschreitenden Prozess der Delegitimierung der Lebensart und das Wegbrechen eines soziokulturellen Bezugssystems für Bewohner*innen der DDR nach der sogenannten Wiedervereinigung(1):
„Mit der DDR sind nicht nur ihre Produkte, ihre Symbole und ihre Alltagsästhetik verschwunden, es kam zugleich zu einer Entwertung des dort angehäuften Erfahrungsschatzes. Als die DDR unterging und die Ostdeutschen kollektiv der Bundesrepublik beitraten, wurde die Herkunftskultur zurückgesetzt. Als Quelle der Anerkennung steht sie kaum noch zur Verfügung.“(2)
Jene Teile der Alltagskultur oder positiven lebensgeschichtlichen Erfahrungen, die nicht verschwanden, befinden sich unter fortwährendem Rechtfertigungsdruck. Die Bezugnahme auf Erzählungen und Erinnerungen, sei es biographisch oder ästhetisch o.a., wird stets begleitet von der impliziten Frage nach einer Positionierung: War Schriftsteller x Opposition, hat Theatermacher y den Ausbürgerungsbrief unterschrieben und war der Sänger z IM? – solche Fragen scheinen zum Ordnungsparadigma der DDR-Kunst geworden sein, statt dass der politische Gehalt der Kunst an ihrer ästhetischen Form gemessen wird. Statt politische Positionierungen entlang der Frage der ästhetischen Form (bspw. bürgerliche Romanästhetik oder maskulin-auktoriales Erzählen o.ä.) eines Kunstwerkes treffen zu können, erwartet der westdeutschen Kunstbetrieb von Ostdeutschen, noch bevor über ostdeutsche Biographien, Künste usw. überhaupt gesprochen wird, eine Positionierung gegen die DDR.(3) Für das Erinnern bedeutet das eine Verunsicherung und Delegitimierung der individuellen Erfahrung der DDR und Nachwende-Leute, die immer mehr in einen Widerspruch gegenüber dem allgemeinen, gesellschaftlichen Narrativ zu geraten scheint. Jene Widersprüchlichkeit, die letztlich aus der Delegitimierung, dem Überschreiben und der Ignoranz gegenüber der individuellen Erinnerung in der ostdeutschen Gesellschaft rührt, schafft eine Diskrepanz zwischen der eigenen Erfahrung und dem allgemeinen gesellschaftsgeschichtlichen Diskurs, die Mau als „gespaltene Erinnerung“ fasst: „Diese Nicht-Akzeptanz bestimmter Erfahrungen führte bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern zu kulturellen Kränkungen. Öffentliches Erinnern und persönliches Erleben ließen sich oft nur schwer aufeinander beziehen – mithin entstand eine ‚gespaltene Erinnerung.‘“(4) Schnell entsteht der Eindruck, dass das Leben in der DDR kaum etwas Erzählenswertes außerhalb dieser Dichotomien von Täter/Opfer, Stasi/Opposition usw. bereithält. Die DDR ist in diesem Bild immer Das Leben der Anderen(5). Für Widersprüche, Zwischentöne oder Brüche ist wenig Platz. Dabei läge genau hier, so unsere These, ein Potenzial für politische Ästhetiken der Gegenwart.
Was nun bedeutet das für die politische Ästhetik des Erzählens?
Nimmt man Serienproduktionen wie Kleo oder In einem Land, das es nicht mehr gibt beispielhaft für das Erzählen über das Leben in der DDR, lässt sich zum einen eine omnipräsente Position des Staates in jedem Bereich des Lebens feststellen. Zum anderen ist die Position und Perspektive der Geschichten und Figuren stets motiviert durch eine Unterdrückungserfahrung. Geschichten aus dem Alltag, den einfachen Wünschen und Ängsten der Menschen sind selten.
Im Bereich der Literatur ist Anne Rabes Roman Die Möglichkeit von Glück bzw. dessen Rezeption beispielhaft. Der Roman, der 2023 auf der Shortlist des deutschen Buchpreis stand, erzählt von einer gewaltvollen Familiendynamik im Zusammenhang mit dem System DDR aus Perspektive einer Tochter. Obwohl die Erzählperspektive eine Kausalität immer wieder behauptet, bleibt offen, wie genau die besondere Familiengeschichte nun eigentlich mit der Allgemeinen der DDR zusammenhängt. Das Buch zieht eine Parallele zwischen dem Sadismus der Mutter und der DDR-Gesellschaft. Doch gibt es dafür keinen ursächlichen Zusammenhang – zumindest keinen, der ein Alleinstellungsmerkmal der DDR gegenüber der BRD wäre und zumindest keinen, den der Roman schafft, ästhetisch einzufangen. Obwohl Rabes Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt ist und rein grafisch wie syntaktisch (nicht inhaltlich oder stilistisch) die Ich-Erzählerin in zwei Stimmen aufteilt, universalisiert ihre Erzählerin das Wir einer Generation. Sie tut dies u.a. dort, wo die Erzählerin ihre singuläre, mit der DDR nicht wirklich vermittelte Perspektive schildert und trotzdem Wir sagt. Der Roman greift weder Widersprüche produktiv auf, noch macht er sie greifbar. Wir gewinnen durch die Geschichte keine neue oder vom hegemonialen Narrativ abweichende Perspektive auf das Leben in der DDR. Vielmehr offenbart sich ein weiteres Mal eine Erzählung, in deren Zentrum erstens die Unterdrückung durch die DDR-Diktatur und zweitens der daraus scheinbar bruchlos folgende Rechtsextremismus der Nullerjahre steht. Auch hier bleiben die feinsensorischen Erzählungen aus, die verstehbar machen könnten, woher die rechte Gewalt im Osten kam und kommt. Jene einzig aus dem SED-System abzuleiten, halten wir für politisch verfehlt und riskant, weil es andere rechte Akteur*innen und Strukturen ausblendet, die sich auch nach dem Untergang der DDR fortschreiben.
Diese Beispiele greifen nur sehr begrenzt auf die realen Erfahrungen im Alltag der Menschen in der DDR zurück, strukturieren jedoch das allgemeine Narrativ über Ihr Leben. Dass die Menschen von noch etwas anderem träumten als von sozialer Marktwirtschaft und Levis Jeans, tritt hinter diesen Narrativen in Vergessenheit. Resultat ist die zuvor beschriebe Diskrepanz zwischen dem allgemeinen Diskurs und den individuellen Erfahrungen. Das ist die von Mau beschriebene „gespaltene Erinnerung“. Zur Unsichtbarkeit unterschiedlicher Alltagserzählungen in der Literatur kommt hinzu, dass viele Leuten der DDR sich in den hegemonialen Geschichten nicht repräsentiert sehen, wie die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke berichtet:
„Ich rede gerne über den Osten und erlebe dann sehr oft, dass Leute sich gesehen fühlen. Das ist so wichtig für Menschen und es macht etwas mit einem Land, wenn das 30 Jahre lang nicht passiert. Ich bekomme viele Briefe und Nachrichten, in denen Leute mir ihr Leben erzählen, das sind oft gebrochene Biografien. Auch bei mir hatte sich biografisch viel angesammelt und ich habe irgendwann gemerkt, dass ich meine eigene Geschichte im großen Narrativ nicht wiederfinde.“(6)
DDR-Bewohner*innen haben in den Jahren nach der Wende nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Hoheit über die Narrative der eigenen Vergangenheit; des eigenen Lebens, verloren. Zweifellos hatte die Absetzung des Politbüros, eine allumfängliche Reformierung des politischen Systems bis hin zur Wiedervereinigung in der DDR eine breite Mehrheit. Die Möglichkeit, die eigenen gesellschaftlichen Vorstellungen auszuarbeiten und umzusetzen, hatten die DDR-Bürger*innen jedoch nicht. Für Mau war „[d]er Preis des Beitritts […] der Verlust der Option, gemeinsam einen gesellschaftlichen Entwicklungspfad auszuhandeln und die eigenen Interessen stärker einzubinden. […] Wie bei einem Kopiervorgang wurde die Blaupause West auf den Osten übertragen.“(7) Fast vergessen scheint heute, dass die Zustimmung zur Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre im Osten immer weiter abnahm und ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Aussage zustimmte, der Westen hätte die DDR im Kolonialstil erobert.(8) Für Mau ist gerade die „[…] Liquidation der soziokulturellen Traditionsbestände der ehemaligen DDR […]“(9) eines der wesentlichen Argumente, die den Vorwurf, die BRD hätte den Osten kolonialisiert, stützen.
In Verbindung mit der aus den Zahlen ablesbaren Diskurshoheit westdeutscher Schriftsteller*innen, Journalist*innen und Verlage(10), muss sich also gefragt werden, ob sich zu jener von Mau diagnostizierten „gespaltenen Erinnerung“ auch ein Moment der „kolonialisierten Erinnerung“ ableiten lässt. Der Begriff der Kolonisation wird im Anschluss an Mau in dem Sinne verstanden, dass den Bürger*innen der DDR wenig bis kaum die Möglichkeit bleibt, ihre Erinnerungen selbst zu formulieren, da jene okkupiert von den Narrativen Anderer sind. Die Möglichkeiten, Mittel und Verfügungskräfte, ostdeutsche Stimmen in Bild, Ton und Schrift breitenwirksam zugänglich zu machen, liegen nach wie vor mit einem überdurchschnittlich großen Anteil in westdeutschen Händen.
Unter Einbezug dieser gesellschaftlichen Debattenlage und mit Blick in die Literatur der DDR selbst muss konstatiert werden, dass der politische und ästhetische Kern der DDR-Poetologie weitgehend unbeachtet bleibt. Einhergehend mit einer Demokratisierung der Literatur- und Kunstproduktion im Schatten des Bitterfelder Weges bildet die inhaltliche wie formale Kultivierung und Ästhetisierung des Widerspruchs einen der wesentlichen Säulen des sozialistischen Schreibens in der DDR. Das Ausleuchten der Widersprüche im eigenen Leben wird selbst zur politischen Praxis für den Sozialismus. Wir wollen in diesem Sinne im Folgenden ausschnitthaft einige Aspekte der DDR-Literatur beleuchten, an die sich in gegenwärtigen Debatten um politisches Schreiben und politische Ästhetiken anknüpfen ließe.
Ankunftsliteratur, sozialistischer Realismus, Produktionsliteratur
Eine der stilistisch wie kulturpolitisch prägendsten Phasen der DDR-Literatur ist die Ankunftsliteratur der 1970er Jahre. Sie nimmt den Aufbau des Sozialismus in der Mikroperspektive in den Blick und leuchtet als Brennglas den Alltag und das Arbeiten in der DDR aus. Sie wird getragen von einer Autor*innen-Generation, die mit dem Schreiben erst nach der Befreiung Deutschlands begann und deren literarischer Hauptbezugspunkt die DDR selbst ist. Exemplarisch und namensgebend ist Brigitte Reimanns Erzählung Ankunft im Alltag (1961). Diese Ankunft ist eine im sozialistischen Alltag. Diese neue Literatur findet ihren Initiationsmoment im auf der 1. Bitterfelder Konferenz 1959 ausgerufenen Bitterfelder Weg, der den Lebens- und Produktionsalltag der Arbeitenden in den Mittelpunkt der Literatur stellt. Die Autor*innen selbst zog es in die Betriebe zurück. Dabei ist es nicht die Arbeit an sich, die in den Mittelpunkt rückt, sondern das Leben jener, die sie ausführen. Der Bitterfelder Weg war also der Versuch, den Alltag der Arbeitenden aus sich selbst zu beschreiben. Identifikationsfläche bieten hier vor allem die Niederlagen und Brüche der Charaktere und nicht ihre Held*innenhaftigkeit.
Erik Neutsch beschreibt in seinem Roman Spur der Steine mit Hannes Balla den Archetypus einer solchen Figur, für den noch kein Platz im sozialistischen Arbeitsalltag zu sein scheint. Balla achtet die Arbeit, aber nicht den Sozialismus. Er steht stellvertretend für eine Generation an Arbeiter*innen, die es erst zu überzeugen gilt. Das wenig Diskutierte hier ist, dass nicht einzig die Arbeitenden sich in dieser Literatur entwickeln und so ihren Platz in der DDR-Gesellschaft suchen, sondern mit ihnen auch die sie umgebende gesellschaftliche und politische Struktur kritisiert und entwickelt wird. Im marxschen Sinne wird hier das Individuum als gesellschaftliches und nicht die Gesellschaft als Ansammlung von Individuen erfasst. Die Figuren Balla und Witte zeigen, dass Widersprüche nicht mehr nur in die Persönlichkeiten selbst verlegt werden, sondern damit immer auch die Strukturen der DDR kritisiert werden.
Die durch den Bitterfelder Weg eingeforderte Hinwendung zum Alltag hatte auch formale Auswirkungen. Christa Wolf entwickelt in ihrem Essay Lesen und Scheiben (1968) den Begriff der „subjektiven Authentizität“. Damit beschrieben ist ein erfahrungsgestütztes Erzählen aus der Perspektive der Subjekte selbst. Prosaschreiben, „[...] das heißt: wahrheitsgetreu zu erfinden auf Grund eigener Erfahrung. […] Sie [die Prosa] sollte unbestechlich auf der einmaligen Erfahrung bestehen und sich nicht hinreißen lassen zu gewaltsamen Eingriffen in die Erfahrung der anderen, aber sie sollte anderen Mut machen zu ihrer Erfahrung.“(11) Die Literatur der Ankunftsphase fokussiert also die Erfahrung und stellt sie vor das Abbild der Wirklichkeit. Nicht die Brigade gilt es darzustellen, sondern die Erfahrung der Arbeit in ihr. Nicht die routinemäßigen Arbeitsabläufe in der Fabrik sind von Bedeutung, sondern die Verwirrungen der Protagonist*innen in ihren Arbeiten. Geschildert wird die Erfahrung vom Einfinden in ein neues Leben. In gewisser Weise formuliert Wolf hier die Leitlinie für einen modernen sozialistischen Realismus:
„Als sei ‘Da- Sein‘ der ‚Dinge‘ im Roman möglich und erstrebenswert; als brauche die Kunst nicht die Vermittlung des Künstlers, der mit seinem Lebensschicksal und seinem Lebenskonflikt zwischen der ‘Realität‘ und der leeren Seite steht und keine andere Wahl hat, diese Seite zu füllen, als die Auseinandersetzung zwischen der Welt und sich selbst darauf zu projizieren.“(12)
Die zu beschreibende Erfahrung ist für Wolf also die Auseinandersetzung zwischen der Welt und sich selbst. „[…] [I]ndem die Lyriker nun selbstbewußt die tatsächlichen Reibungsflächen zwischen gelebter Erfahrungswirklichkeit, deklariertem Selbstbild der neuen Machteliten und den eigenen Vorstellungen von einem besseren Leben zu erkunden begannen“(13), so Peter Geist, wird das Schreiben zu einem Maßnehmen an der Welt.
Die Ankunftsliteratur erzählt auch die Ankunft der Frauen als Produzentinnen ihrer eigenen Geschichten in der sozialistischen Gesellschaft der DDR. Und so werden Bücher wie Maxie Wanders Guten Morgen du Schöne (1977) bis zur Wende die Initiationsgeschenke vieler Mütter an ihre Töchter. Das Buch, in dem 19 unterschiedliche Frauen der DDR in einer Art Zwiegespräch mit sich selbst ihre Geschichten, Träume und Ängste schildern, kann daher als Seismograph für Weiblichkeiten in der DDR gelten. Aber in dieser in aller Öffentlichkeit vorgetragenen Intimität, die in diesen Berichten steckt, schwingt auch Resignation und Melancholie mit. Ein von diesem Buch begeisterter Thomas Brasch schreibt dazu:
„Was in diesem Buch aber nun zu lesen ist, ist mehr als das ewige Lied von Frauen im Alltag und ihren Schwierigkeiten -- es ist der dokumentarische Ausdruck für die Resignation schöpferischer Menschen vor der Geschichte, ihr Verharren im ‚überschaubaren Privaten‘ (nicht ihr Rückzug dorthin, der bleibt enttäuschten Idealisten vorbehalten). In diesem Buch geht es nicht mehr, wie in vielen früheren, um die zerstörten Illusionen oder um das nichteingelöste Versprechen vom Himmelreich auf Erden durch die Regierung oder eine andere hohe Macht, sondern es geht um Leute, die diese Träume nie für realistisch hielten, sie im äußersten Fall auswendig lernten, um ihren Facharbeiterbrief oder ihr Abitur zu bekommen.“(14)
Dieses Buch ist die Erfahrung der Erzählenden. Gleichwohl ist es Prosa und keine reine Dokumentation, denn die Frauen werden zu ihren eigenen Erzählerinnen. Und damit sticht Guten Morgen, du Schöne vor allem deswegen heraus, weil die Frauen jetzt hier für sich selbst sprechen. Ähnlich wie in Grit Lemkes 2023 erschienenen dokumentarischem Roman Kinder von Hoy: Freiheit, Glück und Terror wird das Erzählen zu einem im Plural: Es gibt nicht mehr nur ein oder zwei, sondern dutzende und sich ebenso oft wiedersprechende wie miteinander übereinstimmende Erzähler*innen. Mit diesem Erzählen im Plural weiblicher Subjektivität markiert Maxie Wander eine weitere literarische Etappe in der Entwicklung einer selbstbewussten, weiblichen Subjektivität in der DDR. Damit verbunden ist aber auch eine Abkehr vom herkömmlichen sozialistischen Realismus.
„Wie es ist, bleibt es nicht“ (Brecht), „Wie es bleibt, ist es nicht“ (Müller). Widerspruch als ästhetisches Paradigma
"Das Schreiben hat zwei Voraussetzungen: Das Land lieben, / seine Verhältnisse hassen. Das eine ohne das andere ist nichts. Das andere ohne das eine muß ich verlassen." (Thomas Brasch)
Was im dokumentarischen und sozialistisch-realistischen Erzählen bereits als ein inhaltliches Paradigma ausgemacht wurde, würden wir auch als ästhetisches Verfahren der DDR-Literatur festhalten. Beispielhaft dafür ist die Literatur Thomas Braschs. Er beschrieb die Sichtbarmachung von Widersprüchen als Motor seines Schreibens und zugleich als einen literarischen Moment, aus dem in der Rezeption eingreifendes Denken oder eine politische Praxis erwachsen kann:
„Ich glaube, alles was Widerspruch ist, und alles, was in Frage stellt, ist produktiv, und das kann sich nicht damit erschöpfen, daß sich Gesellschaft in Frage stellt. Es muß beinhalten, daß ich beides in Frage stelle, und zwar immer wieder. Erst in dem Maß, als ich mich selber als ein gesellschaftliches Wesen oder, wie Marx schreibt, als ‚Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse‘, begreife, mich in Frage stelle, jede Art von Opportunismus, von Trägheit, zu der man neigt, zu der man neigen muß, in Frage stelle, ergibt sich daraus auch ein Vergnügen, Gesellschaft in Frage zu stellen.“(15)
Das literarische Verfahren der Widersprüche macht gesellschaftliche Widersprüche erst einmal sichtbar und deckt auf, dass sie historisch-konkrete, gemachte Widersprüche sind. Bei Braschs Produktionsverfahren des Widerspruchs ist man, so Insa Wilke, „aufgefordert, Verhältnissen und Übergängen nachzugehen – und auszuhalten, das Nebeneinanderstehendes sich nicht zu einem kohärenten Sinnganzen zusammenfügt.“(16) Am Beispiel der Kunstproduktion im Kapitalismus verdeutlicht Brasch, dass Widersprüche nicht aufzulösen sind, wenn man die sie produzierende Umgebung nicht benennt. Im Gegenteil gelte es die Widersprüche gerade in ihrer Benennung zu verschärfen, statt aufzulösen. Während für Benjamin der die Kunst am signifikantesten prägende Widerspruch die technische Reproduzierbarkeit war, ist es für Braschs Gegenwart das Geld:
„Er ist der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin, und er ist nur scheinbar zu lösen: mit dem Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion oder mit der Übernahme der Ideologie der Macht. Beides sind keine wirklichen Lösungen, denn sie gehen dem Widerspruch aus dem Weg und die Widersprüche sind die Hoffnungen. […] Meine Arbeit wird weiterhin darauf gerichtet sein, den Widerspruch auszuhalten und zu verschärfen […].“(17)
Das Widerspruchsverfahren zeigt sich auch auf ganz syntaktischer und stilistischer Ebene, bspw. wenn die folgenden Zeilen mit dem Enjambement „aber“ zwar verbunden, aber die Widersprüche inhaltlich nicht vermittelt werden:
„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“(18)
Die ästhetische Form ist hierbei also nicht nur ein beliebiger Platzhalter für das Ausformulieren von Inhalt, sondern in ihrer Form politisch. Denn die ästhetische Form erzeugt und zeigt literarisch Widersprüche auf. Das Verfahren als Widerspruch lässt sich auch als Verfahren gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit zusammenfassen. Literatur ist in diesem Sinne immer auch ein Mittel gewesen, um gleichzeitig etwas sein oder denken zu können, was die Realität nicht erlaubt.
Ein weiterer DDR-Autor der Widersprüche ist der schwule Kommunist Ronald M. Schernikau. Für ihn schien in DDR-Literatur etwas auf, woran wir erinnern wollen; etwas Utopisches. Dieses Utopische lag gerade nicht in großen Erzählungen, sondern im Erzählen des Alltags, im Leben, Lieben und Leben:
„Mich hat an der DDR-Literatur immer fasziniert das Maß an Unruhe. Also daß da überhaupt was war, über das man meckern konnte, zeigte mir, daß die Leute noch nicht völlig verblödet sind. Das kann man auch Utopie nennen. Offenbar ist da was in der DDR, das die Leute dazu bringt, ich rede von den Künstlern, Bewegung überhaupt wahrzunehmen. Das ist für jemanden, der aus dem Westen kommt, schon vollkommen ungewöhnlich. Alles Bewegt Sich!, das ist im Westen eine revolutionäre These. Weil, im Westen lebt man in dem Gefühl: Nichts bewegt sich. Der Endzustand ist erreicht.“(19)
In Schernikaus Erzählung Kleinstadtnovelle (1980) werden gesellschaftliche Widersprüche mit einem Angriff auf die Norm durch performative ästhetische Akte wie Operette, Schlager, Travestie usw. verschärft und zugleich die Unmöglichkeit einer harmonischen Aufhebung derselben befragt: „b ist aufgeregt, lächelt deshalb selbstsicher. steht auf. […] die fähigkeit zu suchen. der wille zur subkultur? auch, die einsicht: kein glück hier und heute. wer das weiß, widersprüche unlösbar sein läßt und sich konzentriert auf machbares, der hat zukunft. […] widerspruch glück.“(20) Gerade die Verschärfung der Widersprüche bildet in der Kleinstadtnovelle einen neuen Ausgangspunkt dafür, dass andere Lebensformen möglich sind. Die Hauptfigur der Novelle will gehen und bleiben, ist männlich und weiblich, hat Angst und ist glücklich zugleich: „ich habe angst. bin weiblich, bin männlich, doppelt.“(21) Das Utopische entdeckt die Figur b, indem sie sich auf ihre Angst zubewegt und die gesellschaftlichen Zustände verschärft: „wer sich nicht in gefahr begibt, kommt in ihr um.“(22) b‘s Sprechen ist von einem dauerhaften trotzdem-und-gerade-deswegen geprägt. Er sagt, eine andere Produktion (der Geschlechter, des Begehrens usw.) sei möglich – warum? „eben weil es mich gibt: den perversen gehört die welt.“(23)
Die Literatur der DDR ist in ihrem scharfen, erzählerischen Blick, im Ausleuchten des Alltags, des Fürchtens und Träumens, politisch. Sie ist nicht nur Spiegelbild politischer (Herrschafts)verhältnisse, sondern in ihren ästhetischen Formen (mit)produzierend an eben solchen politischen Verhältnissen.
1 Dem Begriff der Vereinigung stehen wir kritisch gegenüber, denn eine Vereinigung impliziert ein gewisses Maß an Gegenseitigkeit. In der Wendezeit wurde hingegen der überwiegende Teil der BRD-Strukturen auf das Gebiet der DDR übertragen, während in gegenteilige Richtung wenig bis nichts von den gesellschaftlichen Errungenschaften und Strukturen Eintragung in der BRD fand. Steffen Mau spricht in diesem Kontext von „Übernahmepolitik oder Eingemeindung“, in: Lütten Klein – Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 133ff.
2 Ebd., S. 205.
3 Vgl., ebd. S. 205.
4 Ebd., S. 206.
5 Vgl. den gleichnamigen Film von Florian Henckel von Donnersmarck (2006).
6 Lemke, Grit: https://meinviertel.berlin/portrait/kurz-und-knapp-grit-lemke/.
7 Mau; S. 133.
8 Vgl. Kaase, Max/Bauer-Kaase, Petra; „Deutsche Vereinigung und innere Einheit 1990-1997“, in: Meulemann, Heiner (Hg.); Werte und nationale Identität im vereinten Deutschland: Erklärungsansätze der Umfrageforschung, Opladen 1990, S. 251-276.
9 Mau; S. 136.
10 Vgl. Links, Christoph; Das Schicksal der DDR-Verlage, 2. Aufl., Berlin 2010.
11 Wolf, Christa; Lesen und Schreiben, 4. Aufl., West-Berlin 1983, S. 27.
12 Ebd., S. 31.
13 Geist, Peter: „Nachwort“, in: Geist, Peter (HG.); Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante: Lyrik der siebziger/achtziger Jahre von Dichtern aus der DDR; ein Lesebuch, Leipzig 1991, S. 371.
14 Brasch, Thomas: https://www.spiegel.de/kultur/die-wiese-hinter-der-mauer-a-8ba1062b-0002-0001-0000-000040606631.
15 Hanf, Martina (Hg.): Thomas Brasch: ‚Ich merke mich nur im Chaos‘. Interviews 1976-2002, Frankfurt/M. 2009, S. 165.
16 In: Feßmann, Meike/Ruckaberle, Axel/Scheffel, Michael/Trilcke, Peer (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. V/12, 194 Thomas Brasch, München 2012, S. 7-13.
17 Brasch, Thomas: Rede zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981.
18 Brasch, Thomas: Die nennen das Schrei. Gesammelte Gedichte, Berlin 2015, S. 133.
19 Schernikau, Ronald M.; „Das Konkrete ist natürlich böh. Gespräch mit Thomas Blume“, in: konkret 3/1990, Hamburg 1990.
20 Schernikau, Ronald M.: Kleinstadtnovelle. Hamburg 2002, S. 83.
21 Ebd., S. 9.
22 Ebd., S. 17.
23 Ebd., S. 38.
Mit dem Verschwinden der DDR verschwanden auch ihre Stimmen und Erzählungen. Sie verstummten nicht, aber sie verschwanden aus der öffentlichen Debatte; dem Reigen der Erzählungen, aus dem sich Geschichte zusammensetzt. Gemeinsam mit den Betrieben, Produktionsmitteln, den öffentlichen Ämtern in Politik und Kultur, die im rasenden Tempo durch die fachkundigen Hände der Treuhand in den Westen transferiert wurden, verlor die Lebensart der Menschen in der nun ehemaligen DDR ihre Legitimität. Auch wenn Kunst und Kultur aus sozialistischen Gesellschaften weiterhin in Wissenschaft und Kulturbetrieb rezipiert werden, ignoriert insbesondere die deutschsprachige Linke den Sozialismus der DDR, während der Blick gleichzeitig nostalgisch auf Kuba oder die Sowjetunion gerichtet ist. Dem politischen wie ästhetischen Bezug auf die DDR hängt so nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch innerhalb der aktivistischen wie akademischen Linken immer noch etwas Verdächtiges an. Dies ist für uns deswegen überraschend, weil gerade in den Erzählungen des Alltags über das Träumen, Wünschen und Fürchten der (Post)DDR-Menschen etwas verborgen liegt, womit sich unsere politische Gegenwart besser verstehen ließe. Im Windschatten der aktuellen Debatten, die nach der Hoheit und Verfügung über das Narrativ DDR fragen, wollen wir die spezifisch ästhetische Politizität der DDR-Literatur in den Blick nehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei literarische Alltagserzählungen, die das Wünschen und Fürchten der DDR-Gesellschaft wie ein Brennglas ausleuchten und den Widerspruch sowie ästhetische Verfahren des Realismus und Dokumentarismus als Methode einer sozialistischen Literatur herausstellen.
Kolonialisierte Erinnerung
Der Soziologe Steffen Mau beobachtet in seinem Buch Lütten Klein den fortschreitenden Prozess der Delegitimierung der Lebensart und das Wegbrechen eines soziokulturellen Bezugssystems für Bewohner*innen der DDR nach der sogenannten Wiedervereinigung(1):
„Mit der DDR sind nicht nur ihre Produkte, ihre Symbole und ihre Alltagsästhetik verschwunden, es kam zugleich zu einer Entwertung des dort angehäuften Erfahrungsschatzes. Als die DDR unterging und die Ostdeutschen kollektiv der Bundesrepublik beitraten, wurde die Herkunftskultur zurückgesetzt. Als Quelle der Anerkennung steht sie kaum noch zur Verfügung.“(2)
Jene Teile der Alltagskultur oder positiven lebensgeschichtlichen Erfahrungen, die nicht verschwanden, befinden sich unter fortwährendem Rechtfertigungsdruck. Die Bezugnahme auf Erzählungen und Erinnerungen, sei es biographisch oder ästhetisch o.a., wird stets begleitet von der impliziten Frage nach einer Positionierung: War Schriftsteller x Opposition, hat Theatermacher y den Ausbürgerungsbrief unterschrieben und war der Sänger z IM? – solche Fragen scheinen zum Ordnungsparadigma der DDR-Kunst geworden sein, statt dass der politische Gehalt der Kunst an ihrer ästhetischen Form gemessen wird. Statt politische Positionierungen entlang der Frage der ästhetischen Form (bspw. bürgerliche Romanästhetik oder maskulin-auktoriales Erzählen o.ä.) eines Kunstwerkes treffen zu können, erwartet der westdeutschen Kunstbetrieb von Ostdeutschen, noch bevor über ostdeutsche Biographien, Künste usw. überhaupt gesprochen wird, eine Positionierung gegen die DDR.(3) Für das Erinnern bedeutet das eine Verunsicherung und Delegitimierung der individuellen Erfahrung der DDR und Nachwende-Leute, die immer mehr in einen Widerspruch gegenüber dem allgemeinen, gesellschaftlichen Narrativ zu geraten scheint. Jene Widersprüchlichkeit, die letztlich aus der Delegitimierung, dem Überschreiben und der Ignoranz gegenüber der individuellen Erinnerung in der ostdeutschen Gesellschaft rührt, schafft eine Diskrepanz zwischen der eigenen Erfahrung und dem allgemeinen gesellschaftsgeschichtlichen Diskurs, die Mau als „gespaltene Erinnerung“ fasst: „Diese Nicht-Akzeptanz bestimmter Erfahrungen führte bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern zu kulturellen Kränkungen. Öffentliches Erinnern und persönliches Erleben ließen sich oft nur schwer aufeinander beziehen – mithin entstand eine ‚gespaltene Erinnerung.‘“(4) Schnell entsteht der Eindruck, dass das Leben in der DDR kaum etwas Erzählenswertes außerhalb dieser Dichotomien von Täter/Opfer, Stasi/Opposition usw. bereithält. Die DDR ist in diesem Bild immer Das Leben der Anderen(5). Für Widersprüche, Zwischentöne oder Brüche ist wenig Platz. Dabei läge genau hier, so unsere These, ein Potenzial für politische Ästhetiken der Gegenwart.
Was nun bedeutet das für die politische Ästhetik des Erzählens?
Nimmt man Serienproduktionen wie Kleo oder In einem Land, das es nicht mehr gibt beispielhaft für das Erzählen über das Leben in der DDR, lässt sich zum einen eine omnipräsente Position des Staates in jedem Bereich des Lebens feststellen. Zum anderen ist die Position und Perspektive der Geschichten und Figuren stets motiviert durch eine Unterdrückungserfahrung. Geschichten aus dem Alltag, den einfachen Wünschen und Ängsten der Menschen sind selten.
Im Bereich der Literatur ist Anne Rabes Roman Die Möglichkeit von Glück bzw. dessen Rezeption beispielhaft. Der Roman, der 2023 auf der Shortlist des deutschen Buchpreis stand, erzählt von einer gewaltvollen Familiendynamik im Zusammenhang mit dem System DDR aus Perspektive einer Tochter. Obwohl die Erzählperspektive eine Kausalität immer wieder behauptet, bleibt offen, wie genau die besondere Familiengeschichte nun eigentlich mit der Allgemeinen der DDR zusammenhängt. Das Buch zieht eine Parallele zwischen dem Sadismus der Mutter und der DDR-Gesellschaft. Doch gibt es dafür keinen ursächlichen Zusammenhang – zumindest keinen, der ein Alleinstellungsmerkmal der DDR gegenüber der BRD wäre und zumindest keinen, den der Roman schafft, ästhetisch einzufangen. Obwohl Rabes Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt ist und rein grafisch wie syntaktisch (nicht inhaltlich oder stilistisch) die Ich-Erzählerin in zwei Stimmen aufteilt, universalisiert ihre Erzählerin das Wir einer Generation. Sie tut dies u.a. dort, wo die Erzählerin ihre singuläre, mit der DDR nicht wirklich vermittelte Perspektive schildert und trotzdem Wir sagt. Der Roman greift weder Widersprüche produktiv auf, noch macht er sie greifbar. Wir gewinnen durch die Geschichte keine neue oder vom hegemonialen Narrativ abweichende Perspektive auf das Leben in der DDR. Vielmehr offenbart sich ein weiteres Mal eine Erzählung, in deren Zentrum erstens die Unterdrückung durch die DDR-Diktatur und zweitens der daraus scheinbar bruchlos folgende Rechtsextremismus der Nullerjahre steht. Auch hier bleiben die feinsensorischen Erzählungen aus, die verstehbar machen könnten, woher die rechte Gewalt im Osten kam und kommt. Jene einzig aus dem SED-System abzuleiten, halten wir für politisch verfehlt und riskant, weil es andere rechte Akteur*innen und Strukturen ausblendet, die sich auch nach dem Untergang der DDR fortschreiben.
Diese Beispiele greifen nur sehr begrenzt auf die realen Erfahrungen im Alltag der Menschen in der DDR zurück, strukturieren jedoch das allgemeine Narrativ über Ihr Leben. Dass die Menschen von noch etwas anderem träumten als von sozialer Marktwirtschaft und Levis Jeans, tritt hinter diesen Narrativen in Vergessenheit. Resultat ist die zuvor beschriebe Diskrepanz zwischen dem allgemeinen Diskurs und den individuellen Erfahrungen. Das ist die von Mau beschriebene „gespaltene Erinnerung“. Zur Unsichtbarkeit unterschiedlicher Alltagserzählungen in der Literatur kommt hinzu, dass viele Leuten der DDR sich in den hegemonialen Geschichten nicht repräsentiert sehen, wie die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke berichtet:
„Ich rede gerne über den Osten und erlebe dann sehr oft, dass Leute sich gesehen fühlen. Das ist so wichtig für Menschen und es macht etwas mit einem Land, wenn das 30 Jahre lang nicht passiert. Ich bekomme viele Briefe und Nachrichten, in denen Leute mir ihr Leben erzählen, das sind oft gebrochene Biografien. Auch bei mir hatte sich biografisch viel angesammelt und ich habe irgendwann gemerkt, dass ich meine eigene Geschichte im großen Narrativ nicht wiederfinde.“(6)
DDR-Bewohner*innen haben in den Jahren nach der Wende nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Hoheit über die Narrative der eigenen Vergangenheit; des eigenen Lebens, verloren. Zweifellos hatte die Absetzung des Politbüros, eine allumfängliche Reformierung des politischen Systems bis hin zur Wiedervereinigung in der DDR eine breite Mehrheit. Die Möglichkeit, die eigenen gesellschaftlichen Vorstellungen auszuarbeiten und umzusetzen, hatten die DDR-Bürger*innen jedoch nicht. Für Mau war „[d]er Preis des Beitritts […] der Verlust der Option, gemeinsam einen gesellschaftlichen Entwicklungspfad auszuhandeln und die eigenen Interessen stärker einzubinden. […] Wie bei einem Kopiervorgang wurde die Blaupause West auf den Osten übertragen.“(7) Fast vergessen scheint heute, dass die Zustimmung zur Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre im Osten immer weiter abnahm und ein erheblicher Teil der Bevölkerung der Aussage zustimmte, der Westen hätte die DDR im Kolonialstil erobert.(8) Für Mau ist gerade die „[…] Liquidation der soziokulturellen Traditionsbestände der ehemaligen DDR […]“(9) eines der wesentlichen Argumente, die den Vorwurf, die BRD hätte den Osten kolonialisiert, stützen.
In Verbindung mit der aus den Zahlen ablesbaren Diskurshoheit westdeutscher Schriftsteller*innen, Journalist*innen und Verlage(10), muss sich also gefragt werden, ob sich zu jener von Mau diagnostizierten „gespaltenen Erinnerung“ auch ein Moment der „kolonialisierten Erinnerung“ ableiten lässt. Der Begriff der Kolonisation wird im Anschluss an Mau in dem Sinne verstanden, dass den Bürger*innen der DDR wenig bis kaum die Möglichkeit bleibt, ihre Erinnerungen selbst zu formulieren, da jene okkupiert von den Narrativen Anderer sind. Die Möglichkeiten, Mittel und Verfügungskräfte, ostdeutsche Stimmen in Bild, Ton und Schrift breitenwirksam zugänglich zu machen, liegen nach wie vor mit einem überdurchschnittlich großen Anteil in westdeutschen Händen.
Unter Einbezug dieser gesellschaftlichen Debattenlage und mit Blick in die Literatur der DDR selbst muss konstatiert werden, dass der politische und ästhetische Kern der DDR-Poetologie weitgehend unbeachtet bleibt. Einhergehend mit einer Demokratisierung der Literatur- und Kunstproduktion im Schatten des Bitterfelder Weges bildet die inhaltliche wie formale Kultivierung und Ästhetisierung des Widerspruchs einen der wesentlichen Säulen des sozialistischen Schreibens in der DDR. Das Ausleuchten der Widersprüche im eigenen Leben wird selbst zur politischen Praxis für den Sozialismus. Wir wollen in diesem Sinne im Folgenden ausschnitthaft einige Aspekte der DDR-Literatur beleuchten, an die sich in gegenwärtigen Debatten um politisches Schreiben und politische Ästhetiken anknüpfen ließe.
Ankunftsliteratur, sozialistischer Realismus, Produktionsliteratur
Eine der stilistisch wie kulturpolitisch prägendsten Phasen der DDR-Literatur ist die Ankunftsliteratur der 1970er Jahre. Sie nimmt den Aufbau des Sozialismus in der Mikroperspektive in den Blick und leuchtet als Brennglas den Alltag und das Arbeiten in der DDR aus. Sie wird getragen von einer Autor*innen-Generation, die mit dem Schreiben erst nach der Befreiung Deutschlands begann und deren literarischer Hauptbezugspunkt die DDR selbst ist. Exemplarisch und namensgebend ist Brigitte Reimanns Erzählung Ankunft im Alltag (1961). Diese Ankunft ist eine im sozialistischen Alltag. Diese neue Literatur findet ihren Initiationsmoment im auf der 1. Bitterfelder Konferenz 1959 ausgerufenen Bitterfelder Weg, der den Lebens- und Produktionsalltag der Arbeitenden in den Mittelpunkt der Literatur stellt. Die Autor*innen selbst zog es in die Betriebe zurück. Dabei ist es nicht die Arbeit an sich, die in den Mittelpunkt rückt, sondern das Leben jener, die sie ausführen. Der Bitterfelder Weg war also der Versuch, den Alltag der Arbeitenden aus sich selbst zu beschreiben. Identifikationsfläche bieten hier vor allem die Niederlagen und Brüche der Charaktere und nicht ihre Held*innenhaftigkeit.
Erik Neutsch beschreibt in seinem Roman Spur der Steine mit Hannes Balla den Archetypus einer solchen Figur, für den noch kein Platz im sozialistischen Arbeitsalltag zu sein scheint. Balla achtet die Arbeit, aber nicht den Sozialismus. Er steht stellvertretend für eine Generation an Arbeiter*innen, die es erst zu überzeugen gilt. Das wenig Diskutierte hier ist, dass nicht einzig die Arbeitenden sich in dieser Literatur entwickeln und so ihren Platz in der DDR-Gesellschaft suchen, sondern mit ihnen auch die sie umgebende gesellschaftliche und politische Struktur kritisiert und entwickelt wird. Im marxschen Sinne wird hier das Individuum als gesellschaftliches und nicht die Gesellschaft als Ansammlung von Individuen erfasst. Die Figuren Balla und Witte zeigen, dass Widersprüche nicht mehr nur in die Persönlichkeiten selbst verlegt werden, sondern damit immer auch die Strukturen der DDR kritisiert werden.
Die durch den Bitterfelder Weg eingeforderte Hinwendung zum Alltag hatte auch formale Auswirkungen. Christa Wolf entwickelt in ihrem Essay Lesen und Scheiben (1968) den Begriff der „subjektiven Authentizität“. Damit beschrieben ist ein erfahrungsgestütztes Erzählen aus der Perspektive der Subjekte selbst. Prosaschreiben, „[...] das heißt: wahrheitsgetreu zu erfinden auf Grund eigener Erfahrung. […] Sie [die Prosa] sollte unbestechlich auf der einmaligen Erfahrung bestehen und sich nicht hinreißen lassen zu gewaltsamen Eingriffen in die Erfahrung der anderen, aber sie sollte anderen Mut machen zu ihrer Erfahrung.“(11) Die Literatur der Ankunftsphase fokussiert also die Erfahrung und stellt sie vor das Abbild der Wirklichkeit. Nicht die Brigade gilt es darzustellen, sondern die Erfahrung der Arbeit in ihr. Nicht die routinemäßigen Arbeitsabläufe in der Fabrik sind von Bedeutung, sondern die Verwirrungen der Protagonist*innen in ihren Arbeiten. Geschildert wird die Erfahrung vom Einfinden in ein neues Leben. In gewisser Weise formuliert Wolf hier die Leitlinie für einen modernen sozialistischen Realismus:
„Als sei ‘Da- Sein‘ der ‚Dinge‘ im Roman möglich und erstrebenswert; als brauche die Kunst nicht die Vermittlung des Künstlers, der mit seinem Lebensschicksal und seinem Lebenskonflikt zwischen der ‘Realität‘ und der leeren Seite steht und keine andere Wahl hat, diese Seite zu füllen, als die Auseinandersetzung zwischen der Welt und sich selbst darauf zu projizieren.“(12)
Die zu beschreibende Erfahrung ist für Wolf also die Auseinandersetzung zwischen der Welt und sich selbst. „[…] [I]ndem die Lyriker nun selbstbewußt die tatsächlichen Reibungsflächen zwischen gelebter Erfahrungswirklichkeit, deklariertem Selbstbild der neuen Machteliten und den eigenen Vorstellungen von einem besseren Leben zu erkunden begannen“(13), so Peter Geist, wird das Schreiben zu einem Maßnehmen an der Welt.
Die Ankunftsliteratur erzählt auch die Ankunft der Frauen als Produzentinnen ihrer eigenen Geschichten in der sozialistischen Gesellschaft der DDR. Und so werden Bücher wie Maxie Wanders Guten Morgen du Schöne (1977) bis zur Wende die Initiationsgeschenke vieler Mütter an ihre Töchter. Das Buch, in dem 19 unterschiedliche Frauen der DDR in einer Art Zwiegespräch mit sich selbst ihre Geschichten, Träume und Ängste schildern, kann daher als Seismograph für Weiblichkeiten in der DDR gelten. Aber in dieser in aller Öffentlichkeit vorgetragenen Intimität, die in diesen Berichten steckt, schwingt auch Resignation und Melancholie mit. Ein von diesem Buch begeisterter Thomas Brasch schreibt dazu:
„Was in diesem Buch aber nun zu lesen ist, ist mehr als das ewige Lied von Frauen im Alltag und ihren Schwierigkeiten -- es ist der dokumentarische Ausdruck für die Resignation schöpferischer Menschen vor der Geschichte, ihr Verharren im ‚überschaubaren Privaten‘ (nicht ihr Rückzug dorthin, der bleibt enttäuschten Idealisten vorbehalten). In diesem Buch geht es nicht mehr, wie in vielen früheren, um die zerstörten Illusionen oder um das nichteingelöste Versprechen vom Himmelreich auf Erden durch die Regierung oder eine andere hohe Macht, sondern es geht um Leute, die diese Träume nie für realistisch hielten, sie im äußersten Fall auswendig lernten, um ihren Facharbeiterbrief oder ihr Abitur zu bekommen.“(14)
Dieses Buch ist die Erfahrung der Erzählenden. Gleichwohl ist es Prosa und keine reine Dokumentation, denn die Frauen werden zu ihren eigenen Erzählerinnen. Und damit sticht Guten Morgen, du Schöne vor allem deswegen heraus, weil die Frauen jetzt hier für sich selbst sprechen. Ähnlich wie in Grit Lemkes 2023 erschienenen dokumentarischem Roman Kinder von Hoy: Freiheit, Glück und Terror wird das Erzählen zu einem im Plural: Es gibt nicht mehr nur ein oder zwei, sondern dutzende und sich ebenso oft wiedersprechende wie miteinander übereinstimmende Erzähler*innen. Mit diesem Erzählen im Plural weiblicher Subjektivität markiert Maxie Wander eine weitere literarische Etappe in der Entwicklung einer selbstbewussten, weiblichen Subjektivität in der DDR. Damit verbunden ist aber auch eine Abkehr vom herkömmlichen sozialistischen Realismus.
„Wie es ist, bleibt es nicht“ (Brecht), „Wie es bleibt, ist es nicht“ (Müller). Widerspruch als ästhetisches Paradigma
"Das Schreiben hat zwei Voraussetzungen: Das Land lieben, / seine Verhältnisse hassen. Das eine ohne das andere ist nichts. Das andere ohne das eine muß ich verlassen." (Thomas Brasch)
Was im dokumentarischen und sozialistisch-realistischen Erzählen bereits als ein inhaltliches Paradigma ausgemacht wurde, würden wir auch als ästhetisches Verfahren der DDR-Literatur festhalten. Beispielhaft dafür ist die Literatur Thomas Braschs. Er beschrieb die Sichtbarmachung von Widersprüchen als Motor seines Schreibens und zugleich als einen literarischen Moment, aus dem in der Rezeption eingreifendes Denken oder eine politische Praxis erwachsen kann:
„Ich glaube, alles was Widerspruch ist, und alles, was in Frage stellt, ist produktiv, und das kann sich nicht damit erschöpfen, daß sich Gesellschaft in Frage stellt. Es muß beinhalten, daß ich beides in Frage stelle, und zwar immer wieder. Erst in dem Maß, als ich mich selber als ein gesellschaftliches Wesen oder, wie Marx schreibt, als ‚Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse‘, begreife, mich in Frage stelle, jede Art von Opportunismus, von Trägheit, zu der man neigt, zu der man neigen muß, in Frage stelle, ergibt sich daraus auch ein Vergnügen, Gesellschaft in Frage zu stellen.“(15)
Das literarische Verfahren der Widersprüche macht gesellschaftliche Widersprüche erst einmal sichtbar und deckt auf, dass sie historisch-konkrete, gemachte Widersprüche sind. Bei Braschs Produktionsverfahren des Widerspruchs ist man, so Insa Wilke, „aufgefordert, Verhältnissen und Übergängen nachzugehen – und auszuhalten, das Nebeneinanderstehendes sich nicht zu einem kohärenten Sinnganzen zusammenfügt.“(16) Am Beispiel der Kunstproduktion im Kapitalismus verdeutlicht Brasch, dass Widersprüche nicht aufzulösen sind, wenn man die sie produzierende Umgebung nicht benennt. Im Gegenteil gelte es die Widersprüche gerade in ihrer Benennung zu verschärfen, statt aufzulösen. Während für Benjamin der die Kunst am signifikantesten prägende Widerspruch die technische Reproduzierbarkeit war, ist es für Braschs Gegenwart das Geld:
„Er ist der Widerspruch der Künstler im Zeitalter des Geldes schlechthin, und er ist nur scheinbar zu lösen: mit dem Rückzug in eine privatisierende Kunstproduktion oder mit der Übernahme der Ideologie der Macht. Beides sind keine wirklichen Lösungen, denn sie gehen dem Widerspruch aus dem Weg und die Widersprüche sind die Hoffnungen. […] Meine Arbeit wird weiterhin darauf gerichtet sein, den Widerspruch auszuhalten und zu verschärfen […].“(17)
Das Widerspruchsverfahren zeigt sich auch auf ganz syntaktischer und stilistischer Ebene, bspw. wenn die folgenden Zeilen mit dem Enjambement „aber“ zwar verbunden, aber die Widersprüche inhaltlich nicht vermittelt werden:
„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“(18)
Die ästhetische Form ist hierbei also nicht nur ein beliebiger Platzhalter für das Ausformulieren von Inhalt, sondern in ihrer Form politisch. Denn die ästhetische Form erzeugt und zeigt literarisch Widersprüche auf. Das Verfahren als Widerspruch lässt sich auch als Verfahren gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit zusammenfassen. Literatur ist in diesem Sinne immer auch ein Mittel gewesen, um gleichzeitig etwas sein oder denken zu können, was die Realität nicht erlaubt.
Ein weiterer DDR-Autor der Widersprüche ist der schwule Kommunist Ronald M. Schernikau. Für ihn schien in DDR-Literatur etwas auf, woran wir erinnern wollen; etwas Utopisches. Dieses Utopische lag gerade nicht in großen Erzählungen, sondern im Erzählen des Alltags, im Leben, Lieben und Leben:
„Mich hat an der DDR-Literatur immer fasziniert das Maß an Unruhe. Also daß da überhaupt was war, über das man meckern konnte, zeigte mir, daß die Leute noch nicht völlig verblödet sind. Das kann man auch Utopie nennen. Offenbar ist da was in der DDR, das die Leute dazu bringt, ich rede von den Künstlern, Bewegung überhaupt wahrzunehmen. Das ist für jemanden, der aus dem Westen kommt, schon vollkommen ungewöhnlich. Alles Bewegt Sich!, das ist im Westen eine revolutionäre These. Weil, im Westen lebt man in dem Gefühl: Nichts bewegt sich. Der Endzustand ist erreicht.“(19)
In Schernikaus Erzählung Kleinstadtnovelle (1980) werden gesellschaftliche Widersprüche mit einem Angriff auf die Norm durch performative ästhetische Akte wie Operette, Schlager, Travestie usw. verschärft und zugleich die Unmöglichkeit einer harmonischen Aufhebung derselben befragt: „b ist aufgeregt, lächelt deshalb selbstsicher. steht auf. […] die fähigkeit zu suchen. der wille zur subkultur? auch, die einsicht: kein glück hier und heute. wer das weiß, widersprüche unlösbar sein läßt und sich konzentriert auf machbares, der hat zukunft. […] widerspruch glück.“(20) Gerade die Verschärfung der Widersprüche bildet in der Kleinstadtnovelle einen neuen Ausgangspunkt dafür, dass andere Lebensformen möglich sind. Die Hauptfigur der Novelle will gehen und bleiben, ist männlich und weiblich, hat Angst und ist glücklich zugleich: „ich habe angst. bin weiblich, bin männlich, doppelt.“(21) Das Utopische entdeckt die Figur b, indem sie sich auf ihre Angst zubewegt und die gesellschaftlichen Zustände verschärft: „wer sich nicht in gefahr begibt, kommt in ihr um.“(22) b‘s Sprechen ist von einem dauerhaften trotzdem-und-gerade-deswegen geprägt. Er sagt, eine andere Produktion (der Geschlechter, des Begehrens usw.) sei möglich – warum? „eben weil es mich gibt: den perversen gehört die welt.“(23)
Die Literatur der DDR ist in ihrem scharfen, erzählerischen Blick, im Ausleuchten des Alltags, des Fürchtens und Träumens, politisch. Sie ist nicht nur Spiegelbild politischer (Herrschafts)verhältnisse, sondern in ihren ästhetischen Formen (mit)produzierend an eben solchen politischen Verhältnissen.
1 Dem Begriff der Vereinigung stehen wir kritisch gegenüber, denn eine Vereinigung impliziert ein gewisses Maß an Gegenseitigkeit. In der Wendezeit wurde hingegen der überwiegende Teil der BRD-Strukturen auf das Gebiet der DDR übertragen, während in gegenteilige Richtung wenig bis nichts von den gesellschaftlichen Errungenschaften und Strukturen Eintragung in der BRD fand. Steffen Mau spricht in diesem Kontext von „Übernahmepolitik oder Eingemeindung“, in: Lütten Klein – Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 133ff.
2 Ebd., S. 205.
3 Vgl., ebd. S. 205.
4 Ebd., S. 206.
5 Vgl. den gleichnamigen Film von Florian Henckel von Donnersmarck (2006).
6 Lemke, Grit: https://meinviertel.berlin/portrait/kurz-und-knapp-grit-lemke/.
7 Mau; S. 133.
8 Vgl. Kaase, Max/Bauer-Kaase, Petra; „Deutsche Vereinigung und innere Einheit 1990-1997“, in: Meulemann, Heiner (Hg.); Werte und nationale Identität im vereinten Deutschland: Erklärungsansätze der Umfrageforschung, Opladen 1990, S. 251-276.
9 Mau; S. 136.
10 Vgl. Links, Christoph; Das Schicksal der DDR-Verlage, 2. Aufl., Berlin 2010.
11 Wolf, Christa; Lesen und Schreiben, 4. Aufl., West-Berlin 1983, S. 27.
12 Ebd., S. 31.
13 Geist, Peter: „Nachwort“, in: Geist, Peter (HG.); Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante: Lyrik der siebziger/achtziger Jahre von Dichtern aus der DDR; ein Lesebuch, Leipzig 1991, S. 371.
14 Brasch, Thomas: https://www.spiegel.de/kultur/die-wiese-hinter-der-mauer-a-8ba1062b-0002-0001-0000-000040606631.
15 Hanf, Martina (Hg.): Thomas Brasch: ‚Ich merke mich nur im Chaos‘. Interviews 1976-2002, Frankfurt/M. 2009, S. 165.
16 In: Feßmann, Meike/Ruckaberle, Axel/Scheffel, Michael/Trilcke, Peer (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. V/12, 194 Thomas Brasch, München 2012, S. 7-13.
17 Brasch, Thomas: Rede zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises 1981.
18 Brasch, Thomas: Die nennen das Schrei. Gesammelte Gedichte, Berlin 2015, S. 133.
19 Schernikau, Ronald M.; „Das Konkrete ist natürlich böh. Gespräch mit Thomas Blume“, in: konkret 3/1990, Hamburg 1990.
20 Schernikau, Ronald M.: Kleinstadtnovelle. Hamburg 2002, S. 83.
21 Ebd., S. 9.
22 Ebd., S. 17.
23 Ebd., S. 38.
“Stellt Euch vor es ist Sozialismus und keiner geht weg.”
Christa Wolf
“Stellt Euch vor es ist Sozialismus und keiner geht weg.”
Christa Wolf
“Stellt Euch vor es ist Sozialismus und keiner geht weg.”
Christa Wolf
“Stellt Euch vor es ist Sozialismus und keiner geht weg.”
Christa Wolf